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Der Schutz des chinesischen Kormorans Phalacrocorax carbo sinensis Blumenbach 1798 durch die Europäische Kommission ist eine Katastrophe für die Fischfauna, ein Fiasko für den Vogelschutz und ein umweltpolitischer Skandal. |
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Die europäische Kormoranfrage ist eine sehr komplizierte, kontroversielle und mythenumwobene umweltpolitische Frage im Grenzbereich zwischen Natur und Kultur und zwischen Erhaltungs- und Invasionsbiologie. Dass zwei der Thesen, die zusammengefasst lauten „Der Kormoranbestand in Deutschland, und in Europa, steigt immer weiter an“, stimmen, können alle an Vögeln und Fischen Interessierten, die Zeit an den Gewässern Europas verbracht haben, mit eigenen Augen feststellen. Auch wenn Metadaten deutlich auf große methodologische Schwierigkeiten dabei verweisen, die Anzahl sinensis sicher festzustellen, und die Angaben, die von verschiedenen Seiten berichtet werden, unsichere Schätzungen sind, herrscht kein Zweifel darüber, dass der Zuwachs enorm ist. Lokale zeitweilige Rückgänge, die durch populationsbeschränkende Faktoren verursacht wurden, wie ein lokal verarmter Zugang zu Fisch oder zu Brutgebieten sowie beschwerliche Überwinterungsbedingungen in bestimmten Jahren, können sicher eine bedeutende Jungvogelsterblichkeit und das Verschwinden von Kolonien bedeuten. Auch die Verschiedene Auslegung des EU-Regelwerks seitens der Mitgliedsstaaten hat zu Maßnahmen wie dem Ölen von Eiern und Jagd in den Brut- und Überwinterungsgebieten geführt. Das sind Maßnahmen, die lokal eine gewisse Wirkung gehabt haben, jedoch für den Populationszuwachs insgesamt in Europa von beschränkter Bedeutung waren. Auch die These „Der Kormoran hat keine natürlichen Feinde“ ist korrekt, da es, mit einer Ausnahme, an solchen in der europäischen Natur fehlt. Zweifelsohne töten Nahrungsopportunisten und Kleptoparasiten wie Seeadler zahlreiche sinensis, doch das hat keine größere Bedeutung für das Wachstum der Population. Im Ernst werden andere invasive Tiere als wichtige bestandsregulierende Räuber von Eiern und Jungvögeln des sinensis hervorgehoben, beispielsweise der nordamerikanische Waschbär. Ironischerweise wird auch der einzige natürliche Feind des sinensis auf europäischem Boden, nämlich der koreanische Marderhund hervorgehoben. Der sinensis hat ein eindrucksvolles Vermehrungspotenzial und kann ein langes Leben haben (über 20 Jahre) sowie bis zu 6 Eier legen (normal sind 3-4). Obwohl die Brut normalerweise erst im Alter von 3 Jahren erfolgt, sprechen die biologischen Voraussetzungen somit eindeutig dafür, dass die Anzahl sinensis in Europa weiterhin stark ansteigen wird, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Die vielleicht kontroversiellste These, „Der Kormoran ist kein einheimischer Vogel“ wird von Professor Kinzelbach, einem der prominenten Kenner der historischen Vogelfauna in Europa, mit Bestimmheit zurückgewiesen. In Nomenklatur und Geschichte: der Kormoran in Mitteleuropa entwickelt Kinzelbach in einem Artikel von 1999 mit dem Titel Kormoran im Binnenland Mitteleuropas: Eingeschleppt … (Der Falke 46) das Argument, das den Verdacht, der von mehreren Seiten vorgebracht wurde, dass sinensis ein nach Europa eingeführter Vogel ohne historische Heimat hier sei, kraftvoll zurückweist. Zu Beginn gelingt es Kinzelbach, carbo und sinensis auseinanderzuhalten, doch bald verwechselt er die beiden Taxen und behauptet bestimmt, dass subfossile Funde in Europa aus sinensis bestehen, obwohl nur carbo mit Gewissheit nachgewiesen wurde. Ältere historische Angaben über „Kormorane“, beispielsweise von Hildegard von Bingen (12. Jh.), Kaiser Friedrich II. (13. Jh.) und Conrad Gessner (16. Jh.) bilden laut Kinzelbach unmissverständliche Belege für sinensis. Dies obwohl sie sich einfacher mit Beobachtungen des dann in der letzten Eiszeit in Europa natürlich vorkommenden carbo erklären lassen, einem Vogel, der früher entlang des Großteils der europäischen Küsten, im Mittelmeer und in der Ostsee brütete und der zu allen Zeiten und insbesondere in den Wintern gelegentliche Besuche tief im Binnenland gemacht hat. Auch die von Kinzelbach angeführten Angaben über Brüten in Bäumen, sowohl sinensis als auch carbo sind fakultative Baumbrüter, oder die Etymologie stützen die Behauptung, dass sinensis eine lange europäische Geschichte habe, nicht. Die Schrift Der Kormoran, Schutz für einen Fischräuber? wird sicherlich Gegenstand wissenschaftshistorischer Studien werden und illustriert die Gefahr, dass blinde Vogelliebe das Offenbare nicht sieht und Glauben und Gefühle mit Wissenschaft verwechselt. Trotz Zugang zur wissenschaftlichen Literatur in aller Welt nicht fähig zu sein, die richtigen Fragen zu stellen. In die typologische Falle zu gehen und sich auf einzelne fundamenta divisionis zu verlassen, anstatt auf eine methodische Analyse basierend auf allen verfügbaren biologischen und historischen Angaben. Eines der Fundamente der wissenschaftlichen Biologie, die korrekte Bestimmung des untersuchten Organismus, hintanzusetzen, und stattdessen allgemeine Bezeichnungen wie „Kormoran“ oder „Großkormoran“ zu verwenden, anstatt konsequent und klar die relevanten Taxen, carbo und sinensis, auseinanderzuhalten. Das ist ein Versäumnis, das sich, bis auf einige wenige Ausnahmen, durch die lange Reihe von Arbeiten die in den letzten 30 Jahren zu dem Thema publiziert wurden, zieht und dadurch die „Kormoranfrage“ biologisch unverständlich gemacht hat. All das hat, mit oder ohne Absicht, zu etwas geführt, das besser mit dem Begriff Desinformation zu bezeichnen ist. Um den Fehler der Kommission hinsichtlich sinensis zu beheben und die Gefahren zu senken, dass sich ähnliche umweltpolitische Skandale wiederholen, muss die Europäische Kommission unmittelbar: • gemäß dem Subsidiaritätsprinzip das Regelwerk der EU revidieren, so dass formale Hindernisse für die Mitgliedsstaaten, Phalacrocorax carbo sinensis Blumenbach 1798 auf der Liste von Tieren, die das ganze Jahr über gejagt werden dürfen zu führen, beseitigt werden und somit das Erstellen wissenschaftlich und ethisch korrekter nationaler Maßnahmeplänen gegen diesen fremden invasiven Vogel zu ermöglichen. • eine transparente Prüfung des Verfahrens und der wissenschaftlichen Unterlagen zu sowie der biologischen und wirtschaftlichen Folgen der falschen Entscheidung der Kommission 1979 durchführen. |
1.3.2011 Autor: Christer Olburs Ein an Vögeln und Fischen interessierter Biologe sowie Verfasser des Essays „The chinese cormorant Phalacrocorax carbo sinensis Blumenbach, 1798 - an alien bird 15/10/2008” (Der chinesische Kormoran Phalacrocorax carbo sinensis Blumenbach 1798 – ein fremder Vogel 15.10.2008). Layout: Eva Geigl |